Agentic Commerce
Shownotes
Was vor wenigen Jahren noch nach Zukunftsmusik klang, wird gerade Alltag. Grundlage sind sogenannte Agentic-Commerce-Protokolle (ACP) – technische Standards, die Maschinen befähigen, miteinander zu verhandeln und Geschäfte abzuschließen. In den USA sind erste Anwendungen bereits im Einsatz, in Europa können sich Unternehmen derzeit für den Zugang zu den Schnittstellen anmelden und akkreditieren lassen. Es zeigt sich: Wer seine Systeme jetzt vernetzt, bleibt auch künftig präsent.
„Die digitale Sichtbarkeit hängt künftig von der technischen Anschlussfähigkeit ab“, sagt Dennis Mittelmann, Geschäftsführer der TrendView GmbH. „Wenn ein System die Agentic-Commerce-Protokolle nicht versteht, erscheinen Produkte womöglich gar nicht mehr in den Ergebnissen der KI-Agenten. Das Risiko liegt darin, dass Käufe künftig direkt in Chatbots oder Sprachassistenten abgeschlossen werden – ohne Umwege über den eigenen Shop.“ Für Hersteller und Händler heißt das: Technische Nachrüstung wird zur Voraussetzung für Marktzugang.
Der Trend bringt große Chancen, aber ebenso neue Risiken. Unternehmen können Prozesse automatisieren, Zeit und Kosten sparen – zugleich entstehen juristische Fragen: Wer haftet, wenn der digitale Butler eine Bestellung falsch interpretiert oder Verträge abschließt, die nie beabsichtigt waren? „Bei Fehlbestellungen durch KI-Agenten ist die Rechtslage derzeit noch ungeklärt“, erklärt Rechtsanwalt Klemens M. Hellmann LL.M. von der Kanzlei Martini Mogg Vogt. Es spricht vieles dafür, dass die Verantwortung beim Verwender liegt, wenn er die Vorteile eines KI-Agenten nutzt, dieser aber Fehlentscheidungen trifft – etwa bei Pflichtverletzungen oder ungünstigen Vertragsabschlüssen. Solange der Gesetzgeber oder die Gerichte hier keine Klarstellung schaffen, bleibt diese Haftungsfrage offen.
Der KI-Agent ist jedenfalls kein Vertragspartner, auch wenn er autonome Entscheidungen trifft. Diese kann der Verwender im Einzelfall jedoch nicht immer vorhersehen. „Es geht hier nicht um eine einfache ‚wenn–dann‘-Vorgabe an die KI“, erläutert Hellmann, „etwa: Wenn der Drucker zu wenig Tinte hat, löst die KI automatisch die passende Bestellung aus. In der Konstellation mit einem KI-Agenten ist das anders: Er könnte feststellen, dass zu wenig Infopost das Haus verlässt, daraufhin autonom eine Palette Papier sowie fünf neue Farblaserdrucker bestellen und zusätzlich Personal für die Bearbeitung einplanen. Damit fehlt aber die konkrete Willensbetätigung des Verwenders für jede einzelne Handlung.“
Juristisch wird die durch den KI-Agenten ausgelöste Erklärung wohl dem Menschen oder Unternehmen zugerechnet, das ihn einsetzt – auch dann, wenn der Agent selbstlernend arbeitet. „Vielleicht lässt sich das am besten mit einer Blanketterklärung vergleichen“, so Hellmann. „Der Verwender gibt eine unvollständige Willenserklärung ab, die der KI-Agent im Rahmen seines Entscheidungsspielraums ausfüllt.“ Das heißt: Wer solche Systeme einsetzt, muss sie kontrollieren, ihre Grenzen kennen und rechtlich absichern. Damit wird aus technischer Innovation auch ein rechtliches Thema.
Mit der wachsenden Autonomie der Systeme rücken dabei neue Fragen in den Vordergrund: Wie wird sichergestellt, dass ein Agent tatsächlich für eine bestimmte Person oder ein Unternehmen handelt? Wer kontrolliert, wenn Maschinen miteinander verhandeln? Die schrittweise scharfgestellte EU-KI-Verordnung verpflichtet Anbieter, den Einsatz solcher Systeme offenzulegen und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Ergänzend dazu plant die EU-Kommission mit dem „Digital Omnibus“ weitere Vereinfachungen und Präzisierungen im digitalen Rechtsrahmen.
„Es geht nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern ihn zu entlasten, denn wer hat heutzutage einen realen Butler“, betont Mittelmann. „Aber diese Entlastung hat ihren Preis: Wer Verantwortung abgibt, muss genau wissen, wem er sie überträgt.“ „Das ist die technische Perspektive - für mich ist entscheidend, was er an Vorgaben vermittelt und an Verantwortung überträgt“, ergänzt Hellmann.
Mittelmann sieht im Agentic Commerce eine strategische Zäsur: „Der Handel steht an einer Schwelle. Wer sich jetzt mit den Grundlagen befasst, kann profitieren. Wer wartet, wird vom Markt mitgenommen – und zwar nicht mehr aktiv.“ Diese Entwicklung markiert den Beginn einer neuen Handelsära. Eine Chance und zugleich Herausforderung für Unternehmen, die sich technisch, organisatorisch und rechtlich auf den Wandel vorbereiten müssen.
Mehr Hintergründe und Einordnungen bietet der aktuelle Campus-Podcast, in dem Klemens Hellmann und Dennis Mittelmann gemeinsam mit Robin Lindner (rz Media GmbH) über die rechtlichen, technischen und praktischen Aspekte des Agentic Commerce sprechen – und ergänzend zu ihrem letzten Campus-Podcast, darüber, wie Voice-KI und automatisierte Systeme die Handelswelt in den kommenden Jahren verändern werden. Die aktuelle Folge ist ab sofort kostenfrei abrufbar unter www.rz-forum.de/campus.
Digital Omnibus – EU plant Vereinfachung im Digitalrecht EU-Kommission hat im November 2025 das Reformpaket ‚Digital Omnibus‘ vorgestellt, das sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindet. Es soll die Regelwerke zu Datenschutz (DSGVO) und Künstlicher Intelligenz (KI-VO) besser verzahnen. Ziele: Klare Abgrenzung zwischen personenbezogenen und anonymen Daten Einheitliche Transparenzpflichten bei komplexen Datenverarbeitungen Kein Freibrief für KI-Training, aber konsistentere Regeln Für Unternehmen bringt das mehr Berechenbarkeit – und weniger Bürokratie, ohne dass der Datenschutz aufgeweicht wird.
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